DIE FÜNFZEHN LEBENSEIGENSCHAFTEN IN DER NATUR
Die in Kapitel 5 dargelegten Eigenschaften sind nicht nur sichtbare Merkmale von Kunst- oder Bauwerken. Sie sind fundamental für die Existenz von jeglicher Ganzheit in der Welt. Daher sind die fünfzehn Lebenseigenschaften grundlegend für die Entstehung von Leben in Zentren, in welchen Systemen auch immer diese sich entwickeln mögen.
Jenseits unseres Wahrnehmungsvermögens [1]
Christopher Alexander betrachtet in Kapitel 6 verschiedenen Phänomene in der Natur, um zu zeigen, dass die Wahrnehmung von Ganzheit kein subjektiver Vorgang im Sinne des Konstruktivismus ist. Sondern dass es sich bei der Ganzheit um eine grundlegende Struktur der Realität handelt, welche jenseits unseres bloßen Wahrnehmungsvermögens liegt. Um zu zeigen, dass es eine Ganzheit gibt, in der Atome, Flüsse, Gebäude, Statuen, Bäume, Gemälde, Berge, Fenster und Seen alle Teil eines einzigen ununterbrochen Systems sind, argumentiert Alexander, dass auch die Natur im Sinne der Ganzheit zu verstehen ist.
Das Auftreten der fünfzehn Lebenseigenschaften in der Natur [2]
Zentren, Ganzheiten und Grenzen erscheinen wiederholt in der gesamten natürlichen Welt. Ob in der Sonne, in einem Feuer, in einer Wüste, in einer chemischen „Suppe“, in einem wachsenden Kristall, in einem sich entwickelnden Embryo oder im Weltraum – überall gilt die gleiche Regel:
Die Nicht-Homogenität des Raumes führt zu progressiven Differenzierungen, welche es wiederum den verschiedenen Systemen und Grenzen erlauben, sich zu entwickeln. Dabei werden Zonen, die relativ gleiche Bedingungen zeigen als bestimmter Typus identifiziert. Übergangsgebiete, die andere Bedingungen aufweisen und insofern zu diese Zonen im Kontrast stehen, werden zu Grenzzonen.
An dieser Stelle ist es wichtig zu verstehen, dass diese Art der Differenzierungen in der physischen Welt keine Frage der Wahrnehmung ist. Es ist eine reale physische Organisation, welche sich in der Welt manifestiert und funktionelle Konsequenzen bzgl. des Verhaltens eines Systems hat. Alexander veranschaulicht dies am Beispiel eines Blattes: Wir sehen die härteren Teile, die Holzteile der Leitbündel und die weicheren Bereichen dazwischen. Dies ist nicht nur eine wahrnehmungsbedingte Unterscheidung sondern eine reale Unterscheidung zwischen zwei Komponenten, die verschiedene Aufgaben übernehmen. So verteilen die Leitbündel die Pflanzensäfte und die weicheren Teile dazwischen sorgen für die Fotosynthese.
Des Weiteren führt er aus, dass die Ganzheit eines jeden Subsystems ein Zentrum erzeugt. Diese Aussage sei am Beispiel einer Zelle erklärt: Wenn eine Zelle, welche einen Kern und eine äußere Grenze aufweist, sich wie ein Zentrum in einem Organismus verhält, so wird diese Zelle als Einheit stärker als entweder der Kern oder Grenze für sich allein. Die Zelle erhält ihre Bedeutung, ihre Kohärenz aus ihrer Rolle im größerem Ganzen, dem Gesamtorganismus.
Grundsätzlich gilt: Die Stärke eines Zentrums – ihr Grad an Leben – ist eine Maß für den Grad an Organisation dieses Zentrums.
Wieder und wieder erscheinen die fünfzehn Lebenseigenschaften als geometrische Merkmale für die Art und Weise wie die Organisation des Raumes in der Natur geschieht, wie sich die Zentren im Raum verteilen.
Es folgt nun die Darstellung der fünfzehn Lebenseigenschaften in der Natur.
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[1] The Nature of Order Bd1, S. 244
[2] ebenda, S. 245
- Größenstufen [1]
Größenstufen sind sehr verbreitet in natürlichen Systemen:
- Baum: der Stamm, Äste, Zweige
- Zelle: Zellwand, Organellen, Zellkern, Chromosomen
- Blume: Blüte, Kronblatt, Kelchblatt, Staubgefäße, Stempel
Es lässt sich an diesen und vielen weiteren Beispielen erkennen, dass in jedem System mit einer guten funktionellen Ordnung, notwendigerweise eine funktionelle Kohärenz auf verschiedenen Leveln vorhanden sein muss. Es gibt also erkennbare Hierarchien in der Organisation solcher funktionellen Systeme.
[1] The Nature of Order Bd.1, S. 246ff.
- Starke Zentren [1]
Wir sehen starke Zentren überall in der Welt. Viele natürliche Prozesse weisen Aktivitätszentren auf. Ausgehend von einem System von Zentren strahlt die Aktivität oder auch das Kraftfeld nach außen. Dies gilt für viele Vorgänge in der Physik und der Biologie.

In der Biologie ist eines der bekanntesten Beispiele für diese, aus einem Zentrum entstehende Ordnung, die Entwicklung eines Embryos. Hier steuert eine bestimmte Zellgruppe, ein sogenannter „Organisator“ die Gestaltbildung des Embryos. Diese Zellgruppe organisiert die Entwicklung aller übrigen Zellen.
[1] The Nature of Order Bd.1, S. 251ff.
- Grenzen[1]
In der Natur sehen wir viele Systeme mit starken, dickwandigen Grenzen. Diese starken Grenzen entstehen als ein Resultat aus der Notwendigkeit der funktionellen Trennung zwischen verschiedenen Systemen. Überall dort, wo zwei verschiedene Phänomene aufeinander einwirken, entsteht ebenso eine „Interaktionszone„. Diese ist eine eigenständiges Ding [2] aus sich selbst heraus, genauso wichtig wie die beiden Dinge, die es trennt. Als ein Beispiel nennt Alexander wiederum eine organische Zelle. Ihre Zellwand ist sehr dick und kontrolliert den gesamten Stoffaustausch der Zelle.
Die Grenze ist somit keine dimenslose Verbindung zwischen unterschiedlichen Systemen. Sondern sie stellt eine eigene solide Zone dar mit individuellen Eigenschaften und eigener Form.
[1] The Nature of Order Bd. 1, S. 254ff.
[2] Alexander spricht hier von „thing“, Vergl. ebenda S. 254
- Alternierende Wiederholung [1]
In der Natur finden sich überwiegend alternierende Wiederholungen (eher als einfache Wiederholungen, Vergl. Kap. 5). Das liegt einfach daran, dass es nur eine begrenzte Anzahl archetypischer Formen gibt und unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen wiederholen sich die gleichen Formen wieder und wieder. Wie schon in Kapitel 5 gezeigt, ist eine sich wiederholende Struktur häufig mit einer zweiten, sich ebenfalls wiederholenden Struktur verzahnt (sekundäres Zentrum). Folgende Beispiele mögen sie verdeutlichen: Wenn Atome sich wiederholen, wiederholen sich ebenfalls die sich umkreisenden Elektronen; wenn Wellen sich wiederholen, so wiederholen sich ebenfalls die Wellentäler; gleiches gilt Gebirge: Berg und Tal wiederholen sich abwechselnd; Bäume in einem Wald wiederholen sich in Abwechslung mit den zwischen ihnen liegenden offenen Flächen; wenn sich Blätter am Baum wiederholen, so tun dies auch die Räume zwischen den Blättern.

Das definierende Merkmal für eine alternierende Wiederholung ist die Tatsache, dass die sekundären Zentren kohärent in sich selbst sind, sich bestehen aus sich selbst heraus und sind keine bloßen Überbleibsel.
[1] The Nature of Order Bd. 1, S. 257ff.
5. Positiver Raum [1]
In vielen natürlichen Systemen finden wir etwas das dem „Positivem Raum“ aus Kap. 5 sehr ähnelt. In der Mehrzahl der sich natürlich entwickelnden Ganzheiten, formen diese Ganzheiten und die Räume zwischen den Ganzheiten ein ununterbrochenes Kontinuum. Dieses entsteht, weil sich die Ganzheiten von innen heraus, entsprechend ihrer spezifischen funktionellen Organisation, ausbilden. Mithin entstehen Ganzheiten die positiv aus sich selbst heraus sind.

Der Vorgang sei anhand einer Porzellanglasur erklärt. Mit dem Abkühlen der Oberfläche, zieht sich die Glasur zusammen, Risse entstehen. Die Teile, die so entstehen, sind kohärent in ihrer Form, weil die Rissbildung der maximalen Stresslinie folgt. Die Rissen bilden sich so, dass ein Maximum an Stress abgegeben werden kann. Die Energie der Glasurrisse wird ausgeglichen und so ist sichergestellt, dass alle entstandenen Teile positiv sind.
[1] The Nature of Order Bd. 1, S. 261ff.
6. Gute Form [1]
Viele natürliche Systeme bringen schöne Formen hervor: Blätter, Wellen, Muscheln, Schneckenhäuser, Blüten, Schädel, Vulkan, Wasserfall, Schmetterling oder auch eine Chladni Figur – Sie alle haben eine natürliche und schöne Form.

Um das Auftreten dieser schönen Formen in der Natur zu verstehen, müssen wir uns daran erinnern, dass Gute Form ein geometrische Figur ist, welches ein Hauptzentrum aufweist, das von verschiedenen kleineren Zentren intensiviert wird. Dieser Aufbau ist ein direktes Resultat des naturgesetzlichen Verhaltens des Systems.
[1] The Nature of Order Bd. 1, S. 264ff.
7. Lokale Symmetrien [1]
Lokale Symmetrien sind in der Natur allgegenwärtig. Der menschliche Körper, Kristalle, Bäume, Blätter, ein Spinnennetz, ein Wassertropfen – sie alle sind ungefähr symmetrisch. Diese Symmetrien treten auf, weil es schlicht keinen Grund für das Entstehen von Asymmetrien gibt. Die Dinge neigen zur Symmetrie, es sei denn eine bestimmte Krafteinwirkung zwingt sie in eine asymmetrische Form.

Die Existenz lokaler Symmetrien korrespondiert mit dem Prinzip des kleinsten Zwangs, wonach ein System auf einen äußeren Zwang so reagiert, dass die Wirkung des Zwangs minimal wird.
In der Mehrzahl weisen diese Strukturen viele Schichten von Subsymmetrien auf. Gut sichtbar bei einem Eiskristall, dass Symmetrien auf vielen Ebenen aufweist.
[1] The Nature of Order Bd. 1, S. 266ff.
8. Feste Verzahnung und Doppeldeutigkeit [1]
In der Natur entsteht eine feste Verzahnung dadurch, dass benachbarte Systeme eine große Oberfläche aufweisen, die mannigfaltige Verbindungen erst ermöglicht. Die Vergrößerung der Oberfläche (im Verhältnis zum Volumen) ist quasi eine Voraussetzung für die enge Verzahnung. Das dazu ähnliche Phänomen der Doppeldeutigkeit entsteht, wenn ein Subsystem gleichzeitig zu zwei verschiedenen, sich überlappenden Systemen gehört. Doppeldeutigkeit bedeutet nach Alexander, dass Elemente nach innen und außen wirken. Ein System ist um so stabiler, je tiefer die Verzahnung und Überlappung geht.

[1] The Nature of Order Bd. 1, S. 270ff.
9. Kontrast [1]
Wie oben bereits aufgeführt, ist Differenzierung die Grundvoraussetzung für die Entstehung von Leben. Natürliche Systeme beziehen ihre Organisation und Energie aus der Interaktion von Gegensätzen. So finden wir den Kontrast zwischen weiblich und männlich in nahezu allen Organismen, er ist die Voraussetzung für die Fortpflanzung. Andere Beispiele sind der Wechsel zwischen Tag und Nacht oder zwischen fest und flüssig. Wieder betont Alexander, dass diese Kontraste keine bloße Produkte unserer Wahrnehmung sind (s. Konstruktivismus), sondern eine reale Notwendigkeit für die Entstehung von Strukturen und Formen. Er bezieht sich auf den Mathematiker Spencer Brown, der dargelegt hat, wie jegliche Struktur und Form ihren Ursprung im Kontrast haben [2].

[1] The Nature of Order Bd. 1, S. 272ff.
[2] Spencer Brown, Laws of Form, S. 1ff.
10. Gradienten [1]
Gradienten spielen eine wichtige Rolle in der Natur. Immer, wenn eine bestimmte Größe systematisch über den Raum variiert, entsteht ein Gradient (Gradient = Gefälle oder Anstieg einer Größe auf einer bestimmten Strecke). Jeder, der schon einmal einen Berg bestiegen hat, hat eine solche Variation erlebt: je höher wir kommen, desto kühler wird es und die Luft wird dünner. Unter solchen, sich graduell verändernden Bedingungen, sehen wir einen Übergang von Bäumen, zu Gras, zu Felsen und schließlich zu Eis.

Ein Beispiel für chemische Gradienten in der Natur ist das Wachstum einer Pflanze oder einen Embryos, wo solche Gradienten die Zellteilung kontrollieren und somit zu morphologischen Gradienten im sich entwickelnden Organismus führen. In einem Fluss finden sich Gradienten von Schnelligkeit und Wirbelströmungen. Größengradienten sind in nahezu allen Phänomenen anzutreffen, z.B. in der Verästelung eines Baumes, eines Spinnennetzes oder einer Schneckenhauses.
[1] The Nature of Order Bd. 1, S. 275ff.
11. Rauigkeit [1]
Rauigkeit oder Unregelmäßigkeit entsteht als Resultat eines Zusammenspiels zwischen wohldefinierter Ordnung und den Zwängen oder Grenzen des dreidimensionalen Raumes. So sind zwar die einzelnen Maiskörner alle tropfenförmig, aber durch ihre enge Anordnung um den Kolben herum, nimmt jedes Korn seine ganz eigene, zur jeweiligen Position passende Form an. Jedes Korn passt sich an die komplexe Beschaffenheit des Kolbens an. Die in dieser Hinsicht unregelmäßig geformten Körner erschaffen so eine Höhere Ordnung von Regelmäßigkeit, nämlich den gesamten Kolben. Diese scheinbare Unregelmäßigkeit resultiert also aus dem Versuch des Systems, insgesamt so regemäßig und geordnet wie möglich zu sein.

[1] The Nature of Order, Band 1, S. 278
12. Echos [1]
In allen natürlichen Systemen sind es verborgene fundamentale Prozesse die letztlich die geometrische Form der statischen Struktur bestimmen. Durch diese Prozesse wiederholen sich bestimmte Winkel und Proportionen wieder und wieder und bestimmen so den morphologischen Charakter eines Systems. Zu sehen ist dies zum Beispiel an einer Bergkette: Die gleichen Winkel wiederholen sich wieder und wieder.
Die Ähnlichkeit im Charakter einer Form – das Echo – ist ein Resultat von Schlüsselparametern im Wachstumsprozess. Wiederum sei als Beispiel der Baum angeführt. Die Pflanzensäfte werden bei verschiedenen Bäumen einer Baumart immer über ein ähnliches Verästelungsssystem verteilt.
Wo bewährte Problemlösungsansätze wiederholt werden und sich die Prozesse ähneln, entstehen also ähnliche Lösungen.
[1] The Nature of Order, Band 1, S. 281ff.
13. Die Leere [1]
Nach Alexander korrespondiert „die Leere“ mit der Tatsache, dass die Differenzierung kleinerer System fast immer vor dem Hintergrund der Stille eines größeren und stabileren Systems stattfindet. Demnach neigen kleinere Strukturen dazu, an den Grenzen von größeren und homogeneren Strukturen zu erscheinen.
[1] The Nature of Order, Band 1, S. 284
14. Einfachheit und innere Ruhe [1].
Einfachheit und innere Ruhe sind das Sparsamkeitsprinzip eines jeden natürlichen Systems: was nicht notwendig ist, um an die äußeren Bedingungen angepasst zu sein, fällt weg. Dieses Minimalprinzip findet sich überall in der Natur. So z. B. in einem Blatt: geringstes Gewicht bei einfachster Form. Oder eine kochende Flüssigkeit: ihre Oberfläche nimmt nimmt eine Form an, die geringsten Energieaufwand pro Einheit gewährleistet.

[1] The Nature of Order, Band 1, S. 287
15. Nicht-Getrenntsein [1]
Systeme existieren nicht isoliert. Jedes Teil eines Systems ist gleichzeitig Teil eines größeren, umgebenden Systems und im Verhalten tief mit diesem verbunden. Diese Vernetzung aller Dinge miteinander wurde in der Quantenmechanik des ausgehenden 20. Jahrhunderts offen diskutiert.
Diese Eigenschaft, zusammen mit den beiden vorgenannten Eigenschaften (Die Leere & Einfachheit und innere Ruhe) sind so komplex, dass es nicht zu erwarten ist, dass sie jemals präzise formuliert werden können. Ganz zu schweigen von der Formulierung einer generellen Entstehungstheorie, welche mehr als poetisch wäre.

[1] The Nature of Order, Band 1, S. 288
Warum kommen die fünfzehn Lebenseigenschaften in der Natur immer wieder vor?
Die vorhergehenden Beispiele zeigen, dass die fünfzehn Lebenseigenschaften immer wieder in der Natur vorkommen und zwar in jedweder Größenordnung: in subatomaren Partikeln, in Atomen, in Kristallen, Organismen, Steinen, Gebirgen, Wäldern, großflächigen Wetter- und Wassersystemen.
Nahezu immer kann die spezifische Struktur der Zentren als ein Resultat von mechanischen Kräften und Prozessen erklärt werden. Aber dies erklärt noch nicht, warum die genannten Eigenschaften selber immer wieder auftreten. So kann man zwar das Auftreten einer Grenze häufig beobachten, die Gründe für das Auftreten einer solchen Grenze sind aber von Phänomen von Phänomen unterschiedlich. Christopher Alexander vermutet, dass es eine Art Erklärung höherer Ordnung für das wiederholte Auftreten der fünfzehn Lebenseigenschaften geben muss.
Wir haben bisher gelernt, dass die fünfzehn Lebenseigenschaften verschiedene Wege darstellen, wie sich Zentren gegenseitig intensivieren und größere Zentren formen können. Christopher Alexander stellt an dieser Stelle fest, dass die fünfzehn Lebenseigenschaften in allen funktionsfähigen und stabilen natürlichen Systemen vorkommen. Sie tragen zu deren Kohärenz und Stabilität bei. Diese Eigenschaften repräsentieren die grundlegendste Art, wie der Raum geformt werden kann. Und zwar zu einer einzigartigen Struktur, die bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen aufweist und nützliche Interaktionen mit anderen Systemen aufbaut. Er bringt es folgendermaßen auf den Punkt:
Die fünfzehn Lebenseigenschaften sind verantwortlich dafür, dass die Welt funktioniert.
(Vergl. für diesen Absatz „The Nature of Order“ B1, S. 290ff.)
Das Konzept der Lebendigen Struktur
Christopher Alexander bietet eine neue Weltsicht an, nämlich die der Natur als lebendige Struktur.
Die Natur als ganzes ist aus lebendiger Struktur gemacht. Dies gilt auch für die leblose Natur, für organische wie anorganische Phänomene.
Christopher Alexander stellt fest, dass in der Natur die fünfzehn Lebenseigenschaften durchgehend vorkommen, in menschlichen Artefakten jedoch nicht notwendigerweise – sondern nur in den guten Strukturen. Wie kann das sein? Warum sind natürliche Strukturen immer „gut“? Das Wesen dieses Problems ist seiner Ansicht nach folgendes:
In der Natur gehören alle tatsächlich auftretenden Konfigurationen zu einer relativ kleinen Teilmenge von allen potentiell möglichen Konfigurationen. Er verdeutlicht dies mit einer Zeichnung:

Aus irgendeinem Grund generiert die Natur Konfigurationen in L, während es dem Menschen möglich ist, L zu verlassen und den viel größeren Bereich C (den Bereich aller nur möglichen Konfigurationen, ob sinnvoll oder nicht) zu betreten. Menschen sind in der Lage un-natürlich zu sein. Der L Bereich ist in seinen Möglichkeiten gegenüber C drastisch limitiert. Grundsätzlich folgt die Natur der folgenden Regel:
Jede Ganzheit, die entsteht, bewahrt die Ganzheit der vorgehenden Struktur. Es handelt sich um einen strukturerhaltenden Prozess der Entfaltung. Der Prozess der strukturerhaltenden Transformation wird Inhalt von Buch 2 sein.
Für den Menschen ist es möglich un-atürliche Strukturen zu erschaffen, die so nicht in der Natur vorkommen könnten.
Vergl. für diesen Absatz „The Nature of Order“ B1, S. 292f.
Eine neue Sicht der Natur
Das Konzept der Ganzheit als einer Struktur ist abhängig von der Idee, dass verschiedene Zentren verschiedene Grade von Leben aufweisen. Und dass diese variierenden Grade von Leben, über den Raum verteilt, eine Tatsache der uns umgebenden Welt darstellen. An dieser Stelle bringt Alexander den Wertbegriff ins Spiel. Mit der Wahrnehmung dieser verschiedenen Grade von Leben geht notwendigerweise die Wahrnehmung einer unterschiedlichen Wertigkeit innerhalb der Natur einher – so argumentiert er. Er steht damit der traditionellen wissenschaftlichen Sichtweise entgegen, nach der alle Strukturen – egal, ob interplanetarischer Raum, ein Stein, eine Birke oder eine Wiese – den gleichen Wert haben.
Nimmt man mit Alexander an, dass das Zentrenfeld die beherrschende Struktur ist, welche jeglicher physikalischen Realität unterliegt, dann folgt, dass komplexe Strukturen einen höheren Wert haben als einfache, aussagelose Strukturen.
Der relative Grad von Leben = relative Grad von Wert.
Wenn wir Menschen uns in die Natur einmischen, dort eingreifen, entstehen nicht selten harsche Strukturen. Als Beispiel nennt Alexander ein mit Chemikalien verseuchtes Gewässer, denn Komplexität massiv vermindert wurde und das nun eine relativ einfache, zerstörte Struktur aufweist.
Die Harmonie der Natur ist nichts, was automatisch einfach so da ist. Die Harmonie der Natur sollte bewundert werden, uns in Staunen versetzen. Sie ist etwas, das wertgeschätzt, erhalten, kultiviert und aktiv gesucht werden sollte. Diese neue Sicht der Natur unterscheidet sich vom wissenschaftlich-mechanistischen Weltbild welches in den vorhergehenden Jahrzehnten vorherrschte. Wert ist nach Alexander ein fundamentaler Aspekt der Natur.
Die meisten menschlichen Aktivitäten sind von bestimmten Konzepten und Visionen geleitet. Unter ihrem Einfluss wird es immer schwieriger für uns in Harmonie mit der entstehenden Ganzheit zu bleiben. Oft stimmen unsere Handlungen, ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt, nicht mit der Ganzheit der Welt überein.
Vergl. für diesen Absatz „The Nature of Order“ B1, S. 294f.